Stoppschild für die Überregulierung
E wie einfach: Der „Gebäudetyp E“ soll das Bauen wieder einfacher und preiswerter machen
06.09.2024Was in einer Norm festgelegt ist, gilt als sogenannte „anerkannte Regel der Technik“ (aRdT). Rund 4.000 Normen und noch einmal so viele behördliche Richtlinien gibt es hierzulande für das Bauwesen. Zwar müssen nur rund zehn Prozent davon aufgrund gesetzlicher Regelungen bei einem Neubau zwingend eingehalten werden, weil sie beispielsweise sicherheitsrelevant sind oder Mindeststandards in Sachen Gesundheitsschutz vorgeben, die nicht unterschritten werden dürfen. Doch auch für viele andere gilt: Werden sie bei einem Bauvorhaben nicht erfüllt, droht im Konfliktfall eine Regressforderung. Das hat dazu geführt, dass Bauen über die Jahre immer kostspieliger und komplizierter geworden ist.
Vorschlag der Architekten: Gebäudetyp E
Nicht nur steigende Kosten und sinkende Neubauzahlen haben zur Entwicklung des „Gebäudetyps E“ geführt. Er geht auf einen Vorschlag der Architektenkammern zurück, die in der Überregulierung auch ein Problem für gestalterische Innovationen sehen und immer mehr gleichförmige Planungen beklagen. Die Möglichkeit, auf dem Verhandlungsweg von bestimmten Standards abzuweichen, soll aus Architektensicht deshalb auch wieder mehr experimentelle und ressourcenschonende Gebäude hervorbringen. Übrigens nicht nur im Neubau: Die neuen Regeln für den Gebäudetyp E werden auch im Bestand gelten.
Nur für fachkundige Bauherren
Einfacheres Bauen ist jedoch nicht als Einfallstor für mindere Qualität gedacht. Vorschriften für sicherheitsrelevante Themen wie Statik oder Brandschutz bleiben unangetastet. Die Anwendung der vom Bundesbauministerium gemeinsam mit dem „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ erarbeiteten Leitlinie ist zudem auf sogenannte „fachkundige Vertragspartner“ beschränkt. Nur zwischen ihnen soll es möglich sein, einvernehmlich auf anerkannte Regeln der Technik zu verzichten. Auftraggeber für den Gebäudetyp E könnten also beispielsweise kommunale Wohnungsbauunternehmen sein. Privatpersonen, die ein Einfamilienhaus bauen lassen möchten, können hingegen wohl keinen Gebrauch davon machen.
Damit der Typ E nicht zum Synonym schlechtes Bauen wird, ist eine transparente Handhabung der neuen Möglichkeiten wichtig. Welche Normen bei einem Bauvorhaben bewusst nicht eingehalten wurden und was dies für die Wohnqualität bedeutet, darf späteren Nutzern oder Käufern nicht vorenthalten werden. Das setzt eine sorgfältige Festlegung zwischen Planern und Bauherr zu den Zielen und Qualitäten voraus. Sie können auch späteren Nutzern gegenüber benannt und erläutert werden.
Rechtliche Klarheit schaffen
Theoretisch ist es heute schon möglich, alles am Bau auszuhandeln, was zwischen gesetzlichen Mindestanforderungen und maximalem Komfort machbar ist. Aber bisher müssen alle Käufer und sonstigen Nutzer solchen Vereinbarungen explizit zustimmen, damit für Planer, Baufirmen und Bauherren kein Haftungsrisiko besteht.
Deshalb hat das Bundesjustizministerium einen Gesetzentwurf zur Änderung des BGB auf den Weg gebracht, der im Herbst vom Kabinett beschlossen werden soll. Das Werk- und Bauvertragsrecht soll so geregelt werden, dass zwischen fachkundigen Vertragspartnern auch ohne Aufklärung von den aRdT abgewichen werden kann. Tritt dieses neue Gesetz wie geplant Anfang 2025 in Kraft, würde dies den Startschuss für die praktische Umsetzung des Gebäudetyps E bedeuten.
Positive Reaktionen der Fachwelt
Die ersten Reaktionen zum Vorhaben fallen positiv aus. Eine „Schneise in das Dickicht der Normen beim Planen und Bauen“ erhofft sich Prof. Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer. Und Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Bauindustrie, sagte der „Wirtschaftswoche“, dass er sich gerade im Mietwohnungsbau einen Schub von den neuen Regeln erhoffe. „Durch ein vernünftiges Anforderungsniveau, das das gesetzliche Schutzniveau einhält, aber vielleicht nicht jede erdenkliche technische Raffinesse aufweist, die es für gutes und würdevolles Wohnen auch nicht braucht, erschließen wir vielen Menschen wieder die Möglichkeit, bezahlbar zu wohnen“, so Müller im Interview.
Hier geht es zum Download der Leitlinie zum Gebäudetyp E und des Referentenentwurfs zur Gesetzesänderung.